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dpa, 05. 03. 1999

Die wohl exotischste Premiere des Jahres erlebte das Bonner Opernpublikum.

Berliner Zeitung, 02.03.1999

Die deutsche Erstaufführung von Pascal Dusapins Müller-Oper „Medeamaterial“ ereignet sich in einer Grube, mitten im Bühnenboden der Bonner Oper. Das Publikum sitzt auf steilen Rängen rings um die Grube herum und betrachtet eine Ausgrabungsstätte. Ausgegraben werden neben Medea, Müller und Dusapin noch Purcells „Dido und Äneas“. Damit ist der Abend voll ausgelastet, doch nicht überfordert. Die Musik Dusapins und die Regie Paul Esterhazys schaffen Klarheit...


Westdeutsche Zeitung, 03.03.1999

Hinter dem Eisernen Vorhang hat die Kölner Künstlerin Pia Janssen für Regisseur Paul Esterhazy eine archäologische Fundstätte eingerichtet: Die Zuschauer sitzen auf steilen Rampen und blicken herab in ein Zimmer, das bis ins Detail ein thüringisches NVA-Erholungsheim für Frauen der Vor-Wendezeit rekonstruiert: Augenschmaus und – graus aus Kunstleder- und blümchentapezierter Ästhetik. Hier, zwischen Nasszelle, Tisch und Bett, leiden und verzweifeln die Heldinnen, Dido, die von Aeneas verlassene Königin Karthagos, und Medea, des Argonauten Jason Weib, die den Räuber des Goldenen Vlies nicht binden kann. So naheliegend die Parallelen der mythischen Stoff, um so auffälliger die Entsprechungen, die Dusapin, in Frankreich führender Vertreter der Neuen Musik, seiner affektreichen Vertonung implantiert hat, die zudem durch Sensibilität für Müllers charakteristische Rhythmik besticht. Seine Oper ist nicht nur genauso lang wie die Purcells, sie benutzt auch das gleiche (Barock)Orchester, den gleichen Chor, die nämlichen Stimmen. Paul Esterhazy, Chefdramaturg der Oper und verantwortlich für die außerordentlich verdienstvolle Reihe „bonn chance!“, in der seit letzter Spielzeit (zumeist in der Bundeskunsthalle) sieben Uraufführungen stattfanden, treibt die Symmetrie auf die Spitze: Nach 50 Minuten „Dido and Aeneas“ geht das Licht aus, als es wieder brennt, spielen die fünf Frauen genau das Spiel mit exakt den gleichen Gesten, bis hin zum Rücken der Kaffeetasse. Nur Stück und Musik sind anders. Diese virtuose Idee – darstellerisch überzeugend umgesetzt – befördert einerseits das Sich-Durchdringen der antiken Stoffe, mischt darunter Müllers Ebene einer nahen Vergangenheit, versetzt sie zusätzlich mit TV-Ausschnitten von Golfkrieg und Bosnien-Krise, die aus der der Entstehungszeit von Dusapins Werk stammen, und gibt es in der „archäologischen Anordnung“ zur Aufnahme frei. Außerdem sind die Personen (Hexen, Zauberin etc.) Multiple der Dido und Medea: Reflexe, Aspekte ihres Ich. Männer-Stimmen erklingen nur aus dem Off.

Kölner Stadt-Anzeiger, 01.03.1999

Allmacht und Allgegenwart des Archaischen, Parallelisierung der seelischen Vorherrschaft. Man könnte aber auch einen Triumph der Beliebigkeit argwöhnen, einen symmetrischen Willkürakt, ein Prokrustes-Bett. Doch für solche Negativ-Perspektiven ist die Bonner Aufführung zu gut. Sie verlangt – und bekommt – von den Sängern ein Übermaß an Konzentration, Disziplin und – wohl auch – Selbstverleugnung: Unabhängig von zwei verschiedenen Texten zweimal peinlich genau und völlig abstrakt das gleiche zu erledigen, grenzt ans Schizophrene und Schikanöse. Mit traumwandlersicher Sicherheit aber gehen – vor allem - die Damen Christiane Iven, Isolde Siebert, Melanie Kreuter, Susanne Blattert und Silke Evers ihren Wandlungen und Verwandlungen nach...