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WDR 3, 16.09.2001

Die „Zauberflöte“ ist eine Oper für die Augen, ein Spektakel. Doch zu Beginn ist in Aachen das nüchterne Bühnenbild zu sehen, in dem Intendant Paul Esterhazy vor einem Jahr seinen „Figaro“ inszeniert hat. Eine dunkle, glatte, verspiegelte Spielfläche ohne Wände, ohne Möbel, im Hintergrund sitzt das Orchester. Das Ensemble musste die Situationen aus dem Spiel heraus erschaffen, es gab auch keine Requisiten. Der „Figaro“ war eine Auseinandersetzung mit dem Sehen an sich. Objektiv war nichts vorhanden, die Charaktere schufen sich ihre eigenen Realitäten. Nun also die gleiche Ausstattung für die „Zauberflöte“? Mitnichten, denn schon am Anfang schweben bunte Federn von der Decke herab, schnell bricht der Boden auf, und das Schlangenmonster schnappt nach Tamino. So geht es weiter. Paul Esterhazy bedient das Märchentheater mit Lust am Effekt, doch nicht ohne Hintersinn...

Movie, 10.2001

Die Dinge sind nicht, was sie scheinen. Ein Kind kämpft gegen einen „schröcklichen“ Drachen, dabei ist der doch nur aus kuschel-weichem Theaterstoff. Ein „Bildnis ist bezaubernd schön“... scheint aber näher besehen eher nachgemachte Pop Art zu sein – und das schönste aller Bühnenbilder ist das, welches gar nicht existiert. In der Tat hat Paul Esterhazy auf jede Dekoration verzichtet und dennoch einen üppigen visuellen Eindruck hinterlassen. Im Gegensatz zur schwarz/weiß-Dramaturgie seines „Figaro“ herrscht hier eine Farbenpracht, die keineswegs knatsch-bunt, sondern wohl abgewogen mediterran wirkt. ... Esterhazy gönnt seinem Publikum – was ungewöhnlich ist – den kompletten ungekürzten Text, inklusive aller Frauenfeindlichkeiten und Widersprüche. ... Eins ist sicher: in diesem Stück ist nichts gewiss. Die durch die Handlung stolpernden Halbwüchsigen können sich an keine Lehrmeinung klammern, sondern müssen sich ihre Orientierungspunkte selber setzen – ein Zustand, der aufgeklärten Zeitgenossen irgendwie bekannt sein dürfte. ... Wie auch immer – dieses Rätsel zu lösen, wird mir willkommener Anlass sein, das Spektakel noch ein, zwei weitere Male zu besuchen. An den üppigen Farben der Bühnen- und Kostümbilder von Pia Janssen und Susanne habe ich mich noch lange nicht satt gesehen.


Klassik heute, 11.2001

Esterhazy lässt in seiner „Zauberflöte“-Inszenierung die gesamten Dialoge sprechen. Das Faszinierende dabei st, dass in dieser langen Fassung nie Langeweile aufkommt. Nein, das durchwegs junge Aachener Ensemble spricht und agiert mit soviel Drive, dass die Zeit wie im Fluge vergeht. Ein Plädoyer für das Ensembletheater.


WDR 3, 16.09.2001

Paul Esterhazy zeigt Sarastros Tempelwelt nicht eindeutig als Diktatur. Es ist ein seltsamer Orden, der da die alleinige Weltweisheit beansprucht. Sarastro spricht in einem versunkenen Singsang, als habe er gerade eine bemerkenswerte Menge Drogen geschluckt. Vielleicht versucht Esterhazy hier einen Kinderblick auf die Erwachsenen, auf unverständliche Rituale und ein fremdartiges Denken, das gar nichts mit Spontaneität und Spaß zu tun hat. ... Die Szenen mit Papagena hat Paul Esterhazy mit großem Charme inszeniert. Das Kennenlernen ist eine skurrile Kissenschlacht, das Duett ein entspanntes Gurren und Flirten. Es ist das Ende ihrer Kindheit, und die Initiation tut danach besonders weh. Denn beim Finale stehen Tamino und Papageno in Anzügen da, Pamina und Papagena tragen weiße Blusen zu grauen Röcken. Die Zeugnisverleihung im Sonnentempel ist eine traurige Angelegenheit. Am Schluss sitzen Papageno und Papagena noch einmal breitbeinig auf der Bühne, wie sie es vorher als Kinder immer getan haben. Doch diese Zeit ist unwiderruflich vorbei, der Versuch, sie gestisch festzuhalten, bleibt vergeblich. So endet die spritzige, lebendige Inszenierung in einem schwermütigen Bild. Was aus den beiden Paaren im weiteren Leben wird, das könnte zum Beispiel der „Figaro“ erzählen. Da ist aller Bühnenzauber verflogen, und die Leute müssen sich in der Leere zurecht finden. Die „Figaro“-Inszenierung wird Ende des Monats wieder aufgenommen, zusammen ergeben die beiden Mozart-Aufführungen in Aachen eine hochinteressante Perspektive auf die Entstehung der Liebe und was aus ihr werden könnte.