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Opernwelt, 08.2011

"der einfluss des menschen auf den mond" in der Regie von Paul Esterhazy nominiert von Gerhard R. Koch (FAZ) als Beste Musiktheaterinszenierung (Kritikerumfrage )


Neue Musikzeitung, 04. 2011

> Die Erfahrbarkeit von musikalischer Zeit
von Frieder Reininghaus

Zur Uraufführung von Klaus Langs Kammeroper „der einfluss des menschen auf den mond“ in Braunschweig

Von 1750 stammt Carlo Goldonis heiteres Theaterstück „Il mondo della luna“, das Joseph Haydn knapp drei Jahrzehnte später zum musikalischen Dramma giocoso promovierte. Als Jules Verne mit seiner futuristischen Reise zum Mond Sensation machte, dauerte es nicht lange, bis diese Exkursion mit Melodien und Rhythmen Jacques Offenbachs in Paris zur Opéra-féerie avancierte und 1875 ins Théâtre Gaîté kam. Analog erging es dem Roman „Výlety pánĕ Broučkovy“ von Svatopluk Václav Čech, dessen vollalkoholisierter Mondfahrt sich in den 20er-Jahren Leoš Janáčeks beredte Musik anverwandelte. Paul Lincke hat Frau Luna 1899 eine Berliner Operette gewidmet, Carl Orff zum Beginn des Zweiten Weltkriegs sein „Kleines Welttheater“.

Nun richtete Klaus Lang mit „Der Einfluss des Menschen auf den Mond“ das Augenmerk erneut auf die kalte Kugel, deren Unberührtheit durch Pioniere der Raumfahrt endete: 1969 rückte das der Erde benachbarte Gestirn durch den spektakulären Erstbesuch von Neil Armstrong und die nachschaffenden Künste von Fernsehregisseuren gleichsam zum Greifen nahe. Auf die Naherfahrung spielt der Text des jungen österreichischen Autors an: Er präsentiert, während wie aus unendlicher Ferne Sphärengesang erklingt, einen Kosmo- oder Astronauten, der im unberührten Tiefschnee die „historischen“ Schritte im Mondsand nachspielt. Ansonsten passiert nicht viel in dem – naturgemäß – leise angelegten Werk, das der in Berlin lebende Grazer Komponist Klaus Lang und der Wiener Regisseur Paul Esterhazy in zehn Sequenzen strukturiert haben. Claudia Doderers Ausstattung der kleinen Bühne und die Kos­tüme sind, auch das erscheint naheliegend, ganz in weiß gehalten. Auf den drei weißen Wänden wird gelegentlich weite wüste Landschaft projiziert – Mondlandschaft. Das Who is who in ihr wird durch charakteristische Elemente der Berufsbekleidung rasch deutlich: die Mezzosopranistin Sarah Ferede im Raumanzug ist der Astronaut und in analogem Geschlechterrollentausch der aus der Tiefe emporsteigende Lukas Schmid mit Löffel, Teiglaibchen und Messer die Köchin. Dass der Mann im Mond zur Madame mutierte, ist unmittelbar hörbar, wird aber erst am Ende sichtbar, wenn Akiko Ito sich zum Schlussapplaus zeigt. Irgendwie „zwischen den Welten“ müht sich auch noch der Briefträger Tobias Haaks mit ruhig stilisierten Bewegungen.

Die Mitglieder des Staatsorchesters Braunschweig wurden auf den Flanken des Rangs postiert, Sebastian Beckedorf leitet das feine Changieren zwischen Ton und Geräusch, die Differenzierungen im untersten Lautstärkebereich von zentraler Position aus an. Dass bei dieser Produktion mit zartem Harfensaitenspiel, verhaltenem Streicherflirren und ruhigen Haltetönen der tiefen Streicher „Raumklang“ konstituiert wird, ist gleichfalls höchst plausibel. Der Text scheint eine ornamentale Rolle zu spielen. Die Unverständlichkeit liegt freilich eher an der Aufteilung auf die verschiedenen Partien und an der Methode, die Worte zu zerhacken, nicht am Einsatz der Instrumentalisten, die weithin höchst diskret wirken. Offensichtlich erfolgt der Einfluss des Menschen auf den Mond nicht durch Einrede, sondern durch das Zurücklassen von Weltraumschrott und sonstigen zivilisatorischen Errungenschaften.

Die wohl strukturierte Ruhe, für die Lang und Esterhazy 75 Minuten lang sorgen, steht in denkwürdigem Kontrast zu den Aufgeregtheiten der medienrealen Welt, deren aktuellen Kriegen und Katastrophen. Als dieses Duo 2003 in Aachen den Musiktheaterabend „Die Perser“ präsentierte, erschien dies wie ein subtiler und höchst notwendiger Kommentar zu einem eben anberaumten Krieg im Nahen Osten. Die Hinwendung zu den menschlichen Spätfolgen eines Ausflugs mit der Rakete erscheint demgegenüber als ein von akuteren Sorgen der Menschheit abgehobenes Exerzitium, dem an den Schönheiten und Feinsinnigkeiten des hoch differenzierten Orchesterklangs in Verbindung mit quasi instrumental eingesetzten Stimmen liegt. So scheint die­se Kammeroper nicht nur der musikalischen Schwerkraft trotzen zu wollen, sondern auch den Gravitationskräften des Gesellschaftlichen.

 

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. 04. 2011

> Mann im Mond
von Gerhard R. Koch

Für Opern- wie Filmkenner gibt es drei überragende Weltraum-Werke: Janáčeks "Ausflüge des Herrn Brouček zum Mond", Kubricks "2001" und Tarkowskis "Solaris". Science-Fiction hat schon lange Konjunktur. So mag es kein Zufall sein, dass nun in Braunschweig, wo immerhin das zentrum für Luft- und Raumfahrt seinen Sitz hat, ein Musiktheaterstück über einen Astronauten herauskam: "der einfluss des menschen auf den mond" des Schriftstellers Händl Klaus und des Komponisten Klaus Lang. Eine fast klassische Heimkehrer-Parabel: da kommt einer vom Mond auf die Erde zurück, stapft durch frischen Schnee und fühlt sich als gespaltenes Wesen - hat er doch einen Teil seines Ichs als Mann im Mond zurückgelassen. Gleichwohl, die Erde hat ihn wieder, die Köchin eilt mit Milchreis zur Stärkung herbei. Trotzdem holt ihn der interplanetarische Sog wieder ein: Ausgerechnet den Briefträger zieht es hinauf zum Mond, und unter Anleitung des Astronauten muss er in der Wüste von Nevada fürs extraterrestrische Abenteuer trainieren. Der Weltraumerfahrene, sein lunares Alter Ego, Köchin und Briefträger kommunizieren so real wie interstellar fragmentarisch - eine Séance in Wort- und Sinnpartikeln. Um Astronauten-Kolportage ging es nicht, eher um bruchstückhaftes Sinnieren im Niemandsland. Das ist nicht reizlos, auf jeden Fall Absage an allen Technologiejargon und Weltbeherrschungsfortschrittswahn. Dass das Ganze märchenhaft verrätselt blieb, lag nicht zuletzt an Klaus Langs Musik, ihrem gleichsam stumm-stillen Strahlen; als wolle sie gleichzeitig die Tonlosigkeit von Mond- wie Schnee- und Wüstenlandschaft beredt machen - im Sinne eines paradoxen Klingens im luftleeren Raum.

Österreichische Musik Zeitschrift, 03. 2011

>Subtile Botschaften
...Auf die Mondlandung spielt der Text des österreichischen Autors an: Während wie aus unendlicher Ferne Sphärengesang erklingt, lässt er einen Astronauten zu Wort kommen, der im unberührten Tiefschnee die "historischen" Schritte im Sand nachspielt. Ansonsten passiert nicht viel in dem - naturgemäß - leise angelegten Werk, das Klaus Lang und Regisseur Paul Esterhazy in zehn Sequenzen strukturiert haben (ihre Nummerierung folgt der Zählweise beim Countdown). Claudia Doderer ließ auf drei weißen Wänden gelegentlich weite wüste Landschaft projizieren - Mondlandschaft. Das Who is who in ihr wird durch charakteristische Elemente der Berufskleidung rasch deutlich: Die Mezzospranistin Sarah Ferede im Raumanzug ist der Astronaut und in analogem Geschlechterrollentausch der aus der Tiefe emporsteigende Lukas Schmid mit Löffel und Messer die Köchin. Dass der Mann im Mond zur Madame mutierte, ist unmittelbar hörbar, wird aber erst am Ende sichtbar, wenn Akiko Ito sich zum Schlussapplaus zeigt...


DeutschlandRadio Kultur, 26.03.2011

> Ein müder Astronaut im Schnee
Die Oper "der einfluss des menschen auf den mond" in Braunschweig
von Bernhard Doppler

Eine Mond-Oper voller Rätsel und Poesie
Der Tiroler Schriftsteller Händl Klaus – er besteht auf der Umkehrung von Vorname und Familienname - ist ein gefragter Librettist für neues Musiktheater. Für Beat Furrer hat er den Text für dessen letztes Jahr in Basel uraufgeführtes "Wüstenbuch" geschrieben, für Georg Friedrich Haas, das im April uraufgeführte "Bluthaus" und auch für den Komponisten Klaus Lang unter anderem das 2010 in Bonn uraufgeführte "Buch Asche" nach einem chinesischen Märchen.
Doch seine Libretti sind keine herkömmlichen Dramentexte mit psychologisch motivierten Personen. Zwar gibt es Personal: eine Köchin, einen Briefträger und vor allem einen Astronauten, doch auch die neue Oper von Klaus Lang "der einfluss des menschen auf den mond" ist vor allem ein poetischer Text voller Assoziationen, eine Kette meist einsilbiger Worte.
Die Ausgangslage: Ein Astronaut, der von einer Mondlandung zurückgekommen ist. Er hat sich zu Hause ausgeruht. Noch immer müde, tritt er am Morgen vor sein Reihenhaus. Es hat geschneit, er sinkt im Schnee ein. All das erinnert ihn an den von ihm berührten und damit entweihten Mond, aber auch an und an den Mann im Mond, den er getroffen hat. Mond, Schnee, der Mann im Mond, Milchreis, die gelbliche Lieblingsspeise des Astronauten. Eine Assoziationskette zu Musik.
Die Musik schafft für solche Bilder den Klangraum. Das Orchester unter Sebastian Beckendorf ist mitten unter den Zuschauern im Balkon, also zwischen Parterre und erstem Rang, positioniert, keineswegs klein, aber fast ständig im pianissimo gehalten: Der Schnee, der fast lautlos auf die Erde fällt, das Mondgeröll wie verschluckte Schritte – denn die Atmosphäre, heißt es, fehlt. Schall, der sich ausbreiten könnte. Manchmal hört man den Mann im Mond – ein hoher Sopran, der sich oft kaum unterscheidbar mit Geigenstrichen mischt. Der Mann im Mond eine Verdoppelung des Astronauten? Hat er sich selbst auf dem Mond gefunden?
Wenn man will ist "der einfluss des menschen auf den mond" durchaus auch eine heitere Mondoper in der Tradition von Joseph Haydns "Welt auf dem Mond" oder gar Paul Linkes "Frau Luna". Es gibt neben dem Astronaut (die Sopranistin Sarah Ferede) eine Köchin (der tiefe Bariton Lukas Schmid) und einen Briefträger (Tobias Haaks).
Im zweiten Teil will der Briefträger, der dem Astronauten die Fanpost bringt, selbst Astronaut werden. Doch dazu muss er Englisch lernen und trainieren. In der Wüste Nevada macht er unter Anleitung des Astronauten Liegestütze, schwitzt aber dabei so sehr, dass sich Schweißpfützen in der Wüste bilden Doch aus den Schweißpfützen sprießen – himmlische – Pflanzen: Brunnenkresse, Mondgewächse.
Man könnte sich vorstellen, dass Christoph Marthalers Theater für den in der Wüste Nevada schwitzenden Gymnastik machenden Briefträger realistisch-surreale Bilder gefunden hätte, wie für seine Inszenierung eines vergleichbaren Stück Beat Furrers "Wüstenbuch", das er in einem alten Kairoer Hotel spielen ließ.
In Braunschweig ist man aber auf eine einleitende Einführung durch Operndirektor Jens Neundorff von Enzberg und das Programmheft angewiesen, wenn man die Textvorlage verstehen will. Mit der Ausstatterin Claudia Doderer arbeitet Klaus Lang regelmäßig zusammen, insofern ist ihre Installation legitimiert.
Wie Händel Klaus und Klaus Lang verbietet sich bei ihr jede realistische Psychologisierung des Geschehens. Claudia Doderer ist Schülerin von Achim Freyer: Rechteckige perspektivisch verzerrte Flächen und Kuben – ganz in weiß – aber oft unmerklich für kurze Zeit in gräuliche Farben getaucht (Licht: Harry Heutink).
Der Regisseur Paul Esterházy lässt Figuren wie die Köchin oft nur mit halbem Oberkörper auftauchen, alle gehen in manierierten Schritten wie in Zeitlupe oder gegen die Schwerelosigkeit ankämpfend, die Bewegungen abgezirkelt. Schade um die poetische Kraft und Komik des Textes von Händl Klaus! In dieser abstrakten Form ließ die Mondoper in Braunschweig doch zu viele undurchschaubare Rätsel offen und ratlos. Doch in den Sog von leisem Schnee – und Geröllklängen war man dennoch geraten, in ein Atmen wie bei Liegestützen, auf und ab – up and down.

Tiroler Tageszeitung, 07. 05 2011

>Mondmann oder Kellerkind
Spärenklänge, Klagen und Klangexperiment: Neue Opern von Klaus Lang, Georg Friedrich Haas und Händl Klaus in Braunschweig und Schwetzingen.
von Jörn Florian Fuchs

...Regisseur Paul Esterhazy hat das Nicht-Geschehen an einen Un-Ort verlegt: Weiße, sich verjüngende Wände sind zu sehen, darin stapft das Mondpersonal in stilisierten Kostümen langsam umher (Ausstattung: Claudia Doderer). Mit feinster Lichtregie (Harry Heutink) werden Klaus Langs minimale Veränderungen der musikalische Textur begleitet. ... Wenn man sich auf diese eigenwillige akustische und optische Ästhetik einlässt, dann erlebt man einen meditativen Trip, der die Sinne öffnet, ohne freilich "Sinn" im gewohnten Sinne zu ergeben...