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Standard, 01.02.2016

Verdis "Luisa Miller": Kein Triumph der Liebe
von Beate Frakele

Regisseur Paul Esterhazy akzentuiert an der Grazer Oper das Melodram mit Elementen der Schauerromantik.
Zu den letzten Tönen der Ouvertüre grüßt einer kopfunter aus der Decke der Bürgerwohnung. Der Schatten – höhnisch, komisch, hemmungslos – ist immer da, kriecht über den Boden, die Wand, aus dem Spiegel. Gegenspieler der Liebe ist das Verdrängte. Die verbotenen Begierden. Ein zurückliegendes Verbrechen. Die Lüge. Mitwisser Wurm treibt damit alle in die Enge. 166 Jahre nach ihrer Uraufführung in Neapel fand Giuseppe Verdis Luisa Miller endlich ihren Weg auf die Bühne der Grazer Oper. Im Graben zeichnete Robin Engelen mit dem Grazer Philharmonischen Orchester Seelenkampf und Zuneigung der intimen Handlung, die auf Schillers Kabale und Liebe basiert, in deutlichen Kontrasten. Waren schon dem Komponisten Schillers Anliegen Autoritätskritik und Generationenkonflikt (zensurbedingt) weniger wichtig als brennende Gefühle, akzentuiert Regisseur Paul Esterhazy das Melodram mit Elementen der Schauerromantik. Damit verweist der vielerfahrene Wiener auf E.T. A. Hoffmann, Dickens und Stevensons Dr. Jekyll und Mr. Hyde, aber auch auf Verdis Zeit und den Geschmack des zeitgenössischen Publikums. Esterhazy versetzt seine Nacherzählung von Tirol in den protestantischen Norden und gibt ihr die Farben grotesker Übertreibung.

Strengste Spiegelbildlichkeit
Die Handlung zeigt strengste Spiegelbildlichkeit. Nicht nur im Anspruch auf ihre Kinder, auch im Aussehen sind sich die beiden Väter ähnlich. Kreuz steht gegen Jagdgewehr, denn Miller (ausdrucksstark Elia Fabbian) ist evangelischer Pastor. Conte Walter (zu milde Petar Naydenov) vereint väterliche und fürstliche Gewalt. Bewusst und unbewusst funktionalisieren sie ihre Kinder. Zwischen ihnen windet sich frech das Monster der verdrängten Begierden Wurm. Wilfried Zelinka meistert die Teufelsfigur mit unglaublicher Bühnenpräsenz und bemerkenswertem körperlichen und stimmlichen Einsatz. Opfer der väterlichen Machtspiele sind die jungen Leute. Hilflos lehnt sich der unreife Rodolfo (romantisch José Manuel) gegen die Heirats- und Karrierepläne des Vaters auf und findet auch nur Zuflucht zur Gewalt. Die verwitwete junge Herzogin Federica (konturiert Dshamilja Kaiser) ist wie die brave Luisa nichts als eine Figur in diesem Spiel. Sophia Brommer bewältigt ihr eindrucksvolles Rollendebüt mit volltönendem, sicher geführtem Sopran und zeichnet das überzeugende Bild einer jungen Frau, die ihre Gefühle zu verteidigen sucht, trotz Lügen und Gewalt (deren sichtbare Darstellung einige Zuschauer zu Buhrufen veranlasste). Das Ende ist kein Triumph der Liebe. Der Idee des Kammerspiels untergeordnet, agiert der Chor im Dunkeln. Sichtbarer sind da schon die zwei detailliert durchgestalteten Dienerfiguren. Die expressive alte Laura (mit der Stimme von Yuan Zhang aus dem Graben) unten und ein affektierter Liebling als gräflicher Kammerdiener agieren in ironischer Spiegelbildlichkeit. Ausstatter Mathis Neidhardt sorgte für eine effektvolle Symmetrie der Wohnungen mit Kamin, Spiegel und Kinderporträt zu ebener Erde und im ersten Stock.

Kleine Zeitung Graz, 12.12.2015

"Luisa Miller": Im Labyrinth aus Lug und Trug
von Michael Tschida

Das Ensemble rund um die brillante Sopranistin Sophia Brommer, das Orchester unter Robin Engelen und Regisseur Paul Esterhazy machen das Intrigenspiel nach Schillers "Kabale und Liebe" zu einem dramatischen Ereignis. 

"In meinem Herzen liegen alle meine Wünsche begraben", heißt es in Friedrich Schillers "Kabale und Liebe". Am Ende gehen die Liebenden, getäuscht durch ein Intrigenspiel, selbst ins Grab. Giuseppe Verdi war von diesem bürgerlichen Trauerspiel aus 1784 hoch entzückt: "Ein großartiges Drama, voller Leidenschaft, lebhafter Situationen und heißer Gefühle, theatralisch sehr effektvoll". Und so ließ er durch Salvadore Cammarano ein Libretto nach dem Text des deutschen Dichters schreiben, das ihm als Grundlage für "Luisa Miller" diente - für jene dreiaktige Oper, die quasi zum Sprungbrett zu seinen nachfolgenden Bühnentriumphen mit "Rigoletto", "Il trovatore" und "La traviata" wurde.

Obwohl schon mit perlenden Arien, ungewöhnlichen Ensembles, komplexen Rhythmen und spannungsreichen Instrumentationen gespickt, blieb das 1849 in Neapel uraufgeführte Melodramma lange Zeit eine echte Bühnenraität. In Graz ist die Oper überhaupt noch nie aufgeführt worden, ein Versäumnis, das die neue Intendantin nun abstellte: Für Nora Schmid, die in ihrer ersten Saison bewusst auch auf Ausgefallenes setzt, darf Verdi "als leuchtende Farbe in keiner Spielzeit fehlen".

Und trotz der Düsternis des Dramas um Standesdünkel, Neid, Verschlagenheit und der (im wahrsten Sinne des Wortes) Vergiftung der Liebe leuchtete es bei der Premiere in der Grazer Oper tatsächlich in mehrerer Hinsicht hell. Paul Esterhazy hatte versprochen, das Ränkespiel im Sinne von Charles Dickens als Thriller voll Sex & Crime zu inszenieren. Der 60-jährige Wiener Übersetzer, Dramaturg und Regisseur, der für seine Deutung von Verdis „Messa da requiem“ am Staatstheater Kassel 2008 für den Deutschen Theaterpreis „Der Faust“ in der Kategorie „Beste Regie Musiktheater“ nominiert war und dort zuletzt heuer Luciano Berios „Und re in ascolto“ umsetzte, legt - unterstützt von erstaunlichen Zaubereien mit Wänden, Spiegeln, Spiegelungen und Doppelgängern (raffinierte Bühne und klassische Kostüme: Mathis Neidhardt) – geschickt ein Labyrinth aus Lug und Trug, Sein und Schein.

In diesem verlaufen sich, angetrieben von absichtsvollen Einflüsterungen und vermeintlicher Untreue, der Grafensohn Rodolfo um das Bürgermädchen Luisa. Der Mallorquiner José Manuel singt den sehnenden, aber leicht zu täuschenden Adelsspross mit etwas kleinem, aber schönem Tenor und steigert sich als Heißsporn zum Finale hin. Und Sophia Brommer begeistert sowohl mit farbenreichem Sopran als auch mit darstellerischem Ausdruck. Bei ihrem Hauptrollen-Debüt in Graz gelingt der 34-jährigen Deutschen ein brillantes Rollenporträt; man kann getrost prophezeien, dass die Ausnahmesängerin, bis eine Woche vor der Aufführung noch verkühlt, dem Grazer Publikum noch viel Freude machen wird. Lustvoll und mit gelenkem Bass breitet Wilfried Zelinka die Hinterhältigkeiten des schmierigen Schlossverwalters Wurm aus, der in seiner kriecherischen, giftigen Art eigentlich Schlange heißen müsste. Petar Naydenov als Conte di Walter, Elia Fabbian als Miller (hier als Pastor im protestantischen Norden und nicht Ex-Soldat in den Tiroler Bergen) und Dshamilja Kaiser als Federica festigen das hohe vokale Niveau.

Nicht Chefdirigent Dirk Kaftan, sondern Robin Engelen stand zum bereits dritten Mal in dieser Saison bei einer Premiere am Pult: Seit heuer Erster Kapellmeister in Graz, lotste der in Karlsruhe ausgebildete Dirigent das wendige Orchester ruhig, aber stringent durch die anspruchsvolle Partitur Verdis. Ausschließlich im Dunkeln, agierte der von Bernhard Schneider gut einstudierte Chor tadellos.

Einhelliger, heftiger Applaus für die Sänger. Die Regie hingegen musste sich bei der Erstaufführung, auf die Graz (leider) 166 Jahre warten musste, Bravos und Buhs teilen. Dass schon in der Pause allerdings einer glaubte, „Eine Schmiere ist das!“ vom Balkon brüllen zu müssen, kann man als hübsche Lächerlichkeit abhaken: Wem wegen Nacktheit und einer stilisierten Vergewaltigungsszene auf der Bühne der Blutdruck steigt, sollte zum Arzt und nicht ins Opernhaus.


Kronenzeitung, 14.12.2015

Trauma und Tod einer Schuldlosen
von Matthias Wagner

Erstmals ist das melodramma tragico "Luisa Miller", das Giuseppe Verdi und Salvatore Cammarano 1849 über Friedrich Schillers "Kabale und Liebe" formten, an der Grazer Oper zu sehen. Eine hervorragende Besetzung findet in Paul Esterhazys präziser Regie und unter Robin Engelens angeregtem Dirigat zur absolut erlebenswerten Symbiose.

Es ist fast unglaublich, dass diese Oper in Graz noch nie zu hören war. Mit seiner "Luisa Miller" lieferte Verdi drei Jahre vor "La Traviata" zwar noch nicht die ganz großen Gassenhauer, dafür aber einen unerhört vielgestaltigen Schatz an musikalischen Charakteren, der die traditionellen Abläufe der "Solita forma" mit wundervollen lyrischen Szenen und allerhand experimentellen, weitgehend durchkomponierten Formen füllt.

Regisseur Paul Esterhazy vertraut dieser Musik, die ihre Figuren als facettenreiche Individuen nicht selten mit einer zynischen Doppelbödigkeit von Klang und Aussage konfrontiert, voll und ganz. Esterhazy beschränkt sich in seiner Adaption der tragischen Handlung von Schillers "Kabale und Liebe", welche Verdis Librettist Salvatore Cammarano für Neapel maßgeschneidert hat, auf wenige, präzise Kommentare. Nichts davon verfremdet die tragische Geschichte von der nicht standesgemäßen Liebe zwischen der Soldatentochter Luisa und dem Grafensohn Rodolfo, die von einer grausamen Intrige ausgelöscht wird. In der historistischen Ausstattung Mathis Neidhardts (Licht: Stefan Bolliger) fahren Herrschaftsgeschoß und verfallendes Tiefparterre je nach Szene auf und ab. Was unten bei Miller und Luisa das Kreuz und die Betbank, sind oben bei Walter das Jagdgewehr und ein Safe, in dem die Kellerleichen seiner Machtergreifung verwahrt werden. Friedrich Schiller selbst kreuzt darin als barocker Page und Zeitzeuge seines bürgerlichen Trauerspiels von 1784 auf.

Wurm braut den Gifttrank.
Im Sinne des deutschen Dichters hat Esterhazy die Figur des Intriganten Wurm stark aufgewertet, zum clownesken Geiferer. Seine kreuchendfleuchende Dauerpräsenz - ein Double dringt bei jeder Gelegenheit wurm- und spinnengleich in den Bühnenraum ein - zeigt, dass die himmelschreiende Niedertracht der Intrige, an der das Liebespaar zugrunde geht, keine anonyme Macht ist, sondern eine menschliche Qualität. Wurm, den Wilfried Zelinka mit beängstigender Bühnenkonsequenz und füllig-gerundetem Bass verkörpert, füllt hier sogar den Giftbecher, mit dem Rodolfo den finalen Liebesmord und -Selbstmord vollzieht. Das erspart José Manuel den Spagat, vom glühenden Jüngling zu einem rasenden Macho werden zu müssen, dem man diese Handlung ganz alleine zutrauen würde. Eine Wandlung, die man dem jugendlich-agilen und wundervoll innig gestaltenden Tenor ohnehin nicht ganz abnähme. Denn was die stimmliche Kraft betrifft, fällt er als Einziger von einem ansonsten exzellent bis aufregend gut besetzten Ensemble ab.

Elia Fabbian als Miller von Statur.
Dshamilja Kaiser trägt als Nebenbuhlerin Federica ernste Schatten in ihrem klaren, noblen Alt, während Petar Naydenov als Graf Walter seinen mittelgroßen Bass mit viriler Schärfe und souveräner Kultiviertheit bis in tiefe Lagen führt. Mezzosopranistin Yuan Zhang ist als klar und schön gestaltende Laura nur aus dem Off zu hören, ihr Bühnendouble ist Heidi Stahl in einer wirkungsvollen stummen Rolle als besorgte Haushälterin bei Miller. Der wiederum ist hier nicht Soldat, sondern ein Mann des Glaubens, ein moralisch erhabener Antipode Wurms. Der italienische Bariton Elia Fabbian verleiht ihm neben der verständnisvollen Väterlichkeit auch die Statur eines unerschütterlichen Menschlichkeitsrepräsentanten, der die zeitlosen Aufklärungs- Botschaften von Verdi und Cammarano eindrucksvoll verkörpert. Sein kraftvoll konturierter Bariton überzeugt im virilen Aufbegehren gegen den Tyrannen Walter ebenso wie im milden Dialog mit Tochter Luisa, die er vom Selbstmord abhält, um sie dann doch, vergiftet von Rodolfo, sterbend in den Armen zu halten.

Sophia Brommer als ideale Luisa.
Und welch eine wundervolle Primadonna die neue Intendantin Nora Schmid nach Graz gelockt hat! Sophia Brommers warm schillernder Sopran beherrscht alles, von Gildas früher Mädchenhaftigkeit bis zum lyrisch-tragischen Schmelz einer Violetta. Die 34-jährige Deutsche, die im Sommer aus Augsburg nach Graz kam, ist eine schlichtweg ideale Luisa, und Regisseur Esterhazy legt ihr seine Inszenierung zu Füßen. Er bringt den Gewaltakt, den Wurm mit seinem Brief-Diktat an ihr begeht (Luisa soll ihre Liebe zu Wurm bekennen und Rodolfo damit zur Aufgabe der unstandesgemäßen Liebe bewegen), mithilfe eines nackten Luisa-Doubles als explizite Vergewaltigung auf die Bühne. Das ist starker Tobak für einzelne Buh-Rufer im Premierenpublikum, doch dramaturgisch jedenfalls gerechtfertigt. Denn nach der Pause, die durchaus passend mitten in den zweiten Akt fällt, ist Luisa ein gebrochenes, schwer traumatisiertes Nervenbündel, das die fatalistische

Doppelbödigkeit mancher Gesangsstelle umso glaubwürdiger verkörpert. Jubel für alle Solisten Der erste Kapellmeister Robin Engelen erweist sich bei seiner dritten Grazer Premiere als ausgezeichneter Sängerdirigent, der die Stil-Collage von Verdis Partitur meist souverän und mit allerhand schönen Details zu stimmigen Bögen spannt. Er lässt das Orchester durchaus farbig aufschäumen, meidet aber alles Lärmende und gibt den Stimmen meist den Platz, die sie brauchen. Engelen und sein engagiertes Opernorchester, bei dem vereinzelte Details noch nachreifen dürfen, erhielten am Ende ebenso freundlichen Zuspruch wie der von Bernhard Schneider einstudierte Opernchor, der das ganze Drama aus dem Halb- Off wunderbar differenziert begleitet. Der einhellige Jubel für alle Darsteller steigerte sich bei Wilfried Zelinka und Elia Fabbian noch deutlich - und schwoll bei Sophia Brommer gewaltig an. Viele Bravi und nur noch vereinzelte Buhrufe gab es am Ende für Regie und Ausstattung.