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Älteste Frau der Welt gestorben

Sie war älter als das Säkulum – das vergangene! Marietheres W. – geboren in den letzten Tagen des 19. Jahrhunderts – ist gestern im Alter von 117 Jahren in Wien gestorben, als älteste lebende Frau; nur zwei Menschen, die Französin Jeanne Calment (122) und die US-Amerikanerin Sarah Knauss (119), haben jemals länger gelebt. Die greise Dame stammte aus einer böhmischen Fürstenfamilie, war bis zu dessen Tod mit dem um vierzig Jahre älteren k. u. k. Feldmarschall Wilderich von W. vermählt und lebte seit Menschengedenken zurückgezogen im ersten Wiener Gemeindebezirk. Dabei ging es in ihrem langen Leben nicht immer so beschaulich zu: Im Frühjahr 1938, wenige Tage vor dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich, hatte nämlich in Wien ihre kurze aber heftige Affäre mit dem 17-jährigen Oktavian R., dem damals minderjährigen Korpsführer der Heimwehrorganisation Jung-Vaterland, der später in der NSDAP Karriere machen sollte, für mediale Empörung gesorgt. Die seit Längerem auf Sozialhilfe angewiesene Aristokratin führte zuletzt, bei erstaunlicher geistiger und körperlicher Frische, in ihrer großen, etwas vernachlässigten Stadtwohnung, das Leben einer, wie sie selbst gern betonte, „aus der Zeit Gefallenen“. Einziger Kontakt zur Außenwelt blieb für die glühende Verehrerin des italienischen Startenors Luciano Pavarotti für viele Jahre ihr Abonnement an der Wiener Staatsoper. Auf die Frage, was ihr ein so langes Leben beschert hätte, verriet die „Marschallin“ dem seltenen Besucher gelegentlich ihr Geheimrezept: „Die Erinnerung an die Vergangenheit und ein Gläschen Rosenlikör – stündlich.“

Wiener Presse, 30. September 2017

 

Die Vorgänge

Erster Aufzug

Die Zeit fließt dahin. Wie lange ist es her, dass Marie Theres im jugendlichen Alter von 22 Jahren an den wesentlich älteren Feldmarschall Fürst Werdenberg verheiratet wurde? Die Erinnerungen der „Alten Marschallin“ verblassen. Ihr Mann ist längst tot. Vieles taucht nur noch bruchstückhaft in ihren Gedanken auf. Doch wenn sie den Namen Octavian hört, dann hüpft auch nach all den vielen Jahren ihr altes Herz ... Was damals geschah? Man schrieb das Jahr 1938. Ihre Heimatstadt Wien veränderte sich – aber eigentlich auch wieder nicht. Wien bleibt Wien … Daran würden auch die neuen Zeiten nichts ändern. Außerdem stand Marie Theres in jenen Tagen nicht der Sinn nach weltpolitischen Betrachtungen. 16 Jahre lang hatte sie die Ehe mit dem ungeliebten Mann in Treue und Ergebenheit ertragen. Doch nun war sie verliebt. Heimlich traf sie sich mit dem jungen Grafen Octavian Rofrano. Nie wird sie jene letzte Liebesnacht vergessen. Und vor allem nicht den Morgen danach – als Baron Ochs, ein entfernter Verwandter, unangemeldet in ihr Schlafzimmer eindrang, um von ihr Hilfe bei der Verwirklichung seiner Heiratspläne einzufordern. Noch heute muss sie lachen, wenn sie daran denkt, wie sich Octavian panisch die Kleider der Kammerzofe überwarf und in dieser Rolle so perfekt wirkte, dass Ochs sogleich anfing, mit dem vermeintlichen „Mariandel“ anzubandeln und dabei fast vergaß, dass er eigentlich hergekommen war, um nach einem „Rosenkavalier“ Ausschau zu halten; einem jungen Mann, der seiner Zukünftigen zum Zeichen der Verlobung eine silberne Rose überbringen sollte. Die Marschallin weiß noch, dass sie nicht lange überlegen musste: Sie empfahl Octavian und registrierte belustigt Ochs‘ Verwirrung über die Ähnlichkeit zwischen Octavians Porträt und „Mariandel“. Aber sie erinnert sich auch an das wehmütige Gefühl, als sie erfuhr, dass Ochs sich zur Ehe ein blutjunges Mädchen auserkoren hatte: Sophie, die Tochter des reichen Herrn von Faninal. Sicher keine Liebesheirat. Genau wie bei ihr selbst damals. Und plötzlich wurde ihr bewusst, was Vergänglichkeit bedeutet … Wie lange würde Octavian noch zu ihr, der älteren Frau, stehen?

Zweiter Aufzug

Wie begründet die Vorahnungen der Marschallin waren, zeigte sich wenig später bei der Rosenüberreichung. Wie oft hatte sie sich seither ausgemalt, was damals in Faninals Palais vorgefallen sein musste: Da stand Octavian in seinem Rosenkavalierkostüm mit silberner Rose und Degen vor Sophie, der erwartungsvollen Braut, die dann aber ganz empört war, als sie Baron Ochs mit seinen groben Manieren kennenlernte. Diesen Mann wollte sie um keinen Preis heiraten! Da gefiel ihr Octavian schon viel besser, und diese Sympathie schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Aber wie schnell dann alles ging: Die beiden gestanden sich in einem unbeobachteten Augenblick ihre Liebe, wurden dabei von den Intriganten Annina und Valzacchi ertappt und verraten. Octavian zog im folgenden Durcheinander seinen Degen. Ochs verletzte sich leicht, machte wehleidig eine große Szene, war aber nach einem Versöhnungstrunk schnell besänftigt; erst recht, als Annina ein Briefchen überbrachte, das ihm ein Rendezvous mit „Mariandel“ versprach. Konnte er doch nicht ahnen, dass sich dahinter eine von Octavian angezettelte Intrige verbarg.

Dritter Aufzug

Ja ja. So muss es gewesen sein: Octavian hatte mit Hilfe von Annina und Valzacchi alles perfekt für das Schäferstündchen des Barons mit „Mariandel“ vorbereitet und war in seiner Rolle als weinseliges Dienstmädchen unübertroffen. Ochs wurde durch die vermeintlichen Spukerscheinungen zunehmend nervöser und rief schließlich nach der Polizei. Aber dies verschlimmerte seine Lage nur noch mehr. Als schließlich auch noch Faninal und Sophie auftauchten, war die Blamage für Ochs perfekt. Octavian hatte ganze Arbeit geleistet. Aber zu dessen Überraschung war dann sie, die Marschallin erschienen – und hatte, als sie Octavian und Sophie zusammen sah, die Situation sofort begriffen und bereinigt: Dem Polizeikommissar machte sie klar, dass alles nur eine Farce gewesen sei, dem Ochs, dass es für ihn wohl das Beste wäre, ohne Ansprüche auf Sophie das Feld zu räumen. Doch auch sie war bereit zu verzichten – auf Octavian, und ihn frei zu geben für Sophie. Denn sie hatte sich gelobt, „ihn lieb zu haben in der richtigen Weis‘, dass ich selbst sein Lieb‘ zu einer andern noch lieb hab‘.“