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ganz-oldenburg.de – DAS Stadtmagazin im Internet, 18.09.2017

Brünnhilde in der Fleischerschürze – Wagners „Die Walküre“ feiert glanzvolle Premiere im Oldenburger Staatstheater
von Marlies Folkens

Die „Walküre“ gehört zu meinen absoluten Lieblingsopern, ich gebe es unumwunden zu. Für mich gab es nie eine bessere Inszenierung als die, die Patrice Chereau im „Jahrhundertring“ bei den Bayreuther Festspielen auf die Bühne brachte und die ich Anfang der 80er-Jahre als Fernsehübertragung gesehen habe. Die Latte lag also wirklich sehr hoch und sie ist zu meiner grenzenlosen Überraschung am Samstag im Oldenburgischen Staatstheater gerissen worden. Denn das, was Sänger, Orchester und Regie dem Publikum präsentierten, war schlicht phantastisch!

Während ich im „Rheingold“ noch mit der Idee haderte, die Handlung in der Enge eines Alpendorfs spielen zu lassen, so ging dies Konzept in der „Walküre“ meines Erachtens völlig auf.

Während des Vorspiels ist die „Welt auf der Drehbühne“ noch geschlossen. Blitze zucken und die Silhouetten von Hunden huschen über die hölzernen Wände. Siegmund kriecht auf allen Vieren herein, über dem Kopf ein Wolfsfell, und rettet sich in die einzige offene Tür, um sich vor seien Feinden zu verstecken. Auch Sieglinde tritt auf allen Vieren auf, schnuppert wie ein Tier an der Schwelle, über die Siegmund gerade hereingekommen ist. Beide stehen erst dann zum ersten Mal auf, wenn im Orchester das Motiv ihrer Liebe zu hören ist. Erst dann werden sie zu Menschen …

Es sind diese kleinen Details, die das Regiekonzept tragen und so unglaublich spannend machen. Dabei überträgt der Regisseur Paul Esterhazy Bildmotive, die er schon im „Rheingold“ verwendet hat, als Klammer in die „Walküre“. Die bärtige Frau aus dem „Rheingold“, die sich am Schluss als Mutter des Zwillingspaars Siegmund und Sieglinde herausstellt, schnuppert immer wieder an einem Käfig mit Kanarienvögeln, der an der Wand der Stube hängt. Dieser Käfig ist auch in der „Walküre“ präsent und wird von Sieglinde, die einen deutlichen Flaum auf den Wangen trägt, überall hin mitgeschleppt. Ich gehe jede Wette ein, dass diese Vögel im zweiten Akt Siegfried noch eine gewichtige Rolle spielen werden. (Wobei sie sich auch hier schon gelegentlich in piano-Momenten trillernd bemerkbar machten – zum leisen Amüsement der Zuschauer)

Überhaupt: Es gibt reihenweise starke Bilder!
Bei den „Wälse“-Rufen würgt Siegmund das Wolfsfell, dass er als Mantel bzw. Tarnung getragen hat.
Das verzweifelt liebende Zwillingspaar fällt auf dem Ehebett übereinander her, in dem Hunding seinen Rausch ausschläft. Brünnhilde und ihre Schwestern tragen Schlachterschürzen und flicken die Leichen der Gefallenen wieder zu Helden zusammen. (Und sollte ein Held noch nicht so ganz tot sein, wird eben etwas nachgeholfen.)
Wotan übergibt das Erbe der Welt an Alberichs Sohn mit einem erhobenen Stinkefinger.
Das Erstaunlichste aber war für mich die Umsetzung der „Todesverkündung“ im zweiten Akt. Mit den langen Monologen, in denen die Vorgeschichte noch einmal durchgekaut wird, hat so mancher Regisseur seine Umsetzungsprobleme. Hier aber macht die Drehbühne möglich, zu sehen, was gesungen wird. Es ist eine Traumsequenz, in der Brünnhilde Siegmund zeigt, was nach seinem Tod auf ihn wartet: Die Bühne schwenkt von der noch schlafenden Sieglinde zu Wotan, der in der Stube neben dem Herd am Tisch sitzt, dann, als es um die Wunschmädchen in Walhall geht, dreht die Bühne weiter zum Schlafzimmer – alles in einem unirdischen Licht verfremdet. Doch Siegmund will keine himmlischen Wonnen, er will nur bei Sieglinde bleiben. Die Bühne schwenkt zurück zu ihr und alles wird dunkel.

Mir bleibt da nichts zu sagen als: genial gemacht!

Die vielen, vielen anderen Regiehighlights zu besprechen, würde den Rahmen dieser Kritik sprengen - ich könnte noch seitenweise weiterschreiben. Stattdessen möchte ich jedem Wagnerfreund ans Herz legen, selbst in eine der wenigen Vorstellungen zu gehen.

Auch musikalisch war der Abend ein Genuss der absoluten Spitzenklasse. Wagner muss gar nicht laut sein, um zu wirken. Im Gegenteil! Durch die reduzierte Orchesterfassung von Lessing ergibt sich eine Transparenz und Leichtigkeit, die jeden möglichen Bombast im Keim erstickt. Das Vorspiel zum ersten Akt ist wirklich eine gehetzte Flucht durch den Wald, und die Walküren reiten auf wendigen Arabern und nicht – wie oft gehört – auf stämmigen Brauereizossen. Keiner der Sänger wurde vom Orchester zugedeckt, keiner musste brüllen, um sich Gehör zu verschaffen. Jedes Piano, jeder lyrische Moment war deutlich zu vernehmen. Was für eine Freude!

Bei der Auswahl der Sängerdarsteller hatte das Oldenburgische Staatstheater ein goldenes Händchen. Allen voran ist Nancy Weißbach zu nennen, die hier ihr Debüt als Walküren-Brünnhilde gab. Ihr gelang einfach alles mit ihrem wunderbar runden, jugendlich-dramatischem Sopran – von den Spitzentönen des Hojotoho bis zur Mezzolage der Selbstanklage im dritten Akt.

Michael Kupfer-Radecky näherte sich dem Wotan von der Baritonseite, edel im Timbre, mitreißend im Ausdruck. Es war eine Freude, seinem langen Monolog im zweiten Akt zuzuhören. Das ist wahrlich nicht bei jedem Wotan der Fall.

Zoltán Nyári gewann dem Siegmund viele lyrische Seiten ab, wodurch die dramatischen Ausbrüche der Wälserufe umso wirkungsvoller wurden. Nadja Stefanos dramatischer Sopran gab Sieglinde Ausdruck und Leidenschaft. Pavel Shmulevichs schwarzer Bass unterstrich die unterschwellige Brutalität der Figur. Melanie Lang gewann der Fricka mehr tragische als rachsüchtige Seiten ab. Last but not least vermochten die acht Walküren sowohl solistisch wie auch im Ensemble voll zu überzeugen: Martyna Cymerman, Sooyeon Lee, Marija Jokovic, Annekatrin Kupke, Sarah Tuttle, Yulia Sokolik, Zdravka Ambric und Hagar Sharvit.

Das Publikum bedankte sich bei Sängern, Orchester und dem Regieteam mit langanhaltendem, begeistertem Applaus und Bravorufen und wurde nicht müde, die Darsteller und das Orchester wieder und wieder auf die Bühne zu rufen.