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Süddeutsche Zeitung, 16.04.1996

in Darmstadt inszeniert konsequenterweise der Chefdramaturg sogar selbst. Der Wiener Paul Esterhazy feiert sein Regiedebüt mit der abendfüllenden Bühnenidee, das ganze dreistündige Welttheater um das sdıwergeprüfte Liebespaar aus dem Plıädra-Mythos in Form einer riesigen Prozession darzubieten. Für den Regisseur begibt sich eine Art "Zauberflöte" der Barockzeit, Prüfung uııd Initiation eines "hohen Paares" unter entsprechend verqueren verwandtschaftlichen Konstellationen. Da es um Liebe und Begehren, Liebesverzicht und Keuschheit geht, liegt es nahe, die ganze antike Personenmaschinerie mit handfester christlicher Symbolik kurızuschließen. Hippolyt ist am Ende eiııe Art Heiland, der, vom Tode auferstaııdeıı, auf einem lebenden Sclıimmel über die Bühne reitet. Aricie aber wird wie die Statue einer Madonna rnit betenden Händen herausgetragen  

Der Synkretismus hat Methode. Die rund ıoo Mitwirkenden aus Solisten, Chor und ßewegungschnr ziehen zwar, in wechselnden Gnuppierungen, wie eine feiernde Gemeinde im Adagio-Tempo der Langsaınkeit durch den ßühnenraum, doch damit kontrastiert reizvoll allerlei modernes ßildwesen: Knallige Kostümfetzen oder Nacktheit für die Darsteller, abstrahierte Gerätschaften, Beleuchtungsrafñnement oder nur Liclıtspielereieın. Zu dieser Mix-Lesart gehört auch, dass der Regisseur sogar deın berühmten Pariser Buffcınistenstreit von 1753 szenisch paraphrasiert uııd die kecke Serpina aus Pergolesis "Serva padrona" für Rameaus tragédie lyrique ausleiht: Colornbina agiert "störend' wie der Slıakespearesclıe Narr. Rameau schrieb in seinen Partituren Anweisungen etwa für die Streicher: "Kneift in die Seiten, statt sie mit dem Bogen zu streifen" Diesem Wuıısclı nadı unbedingter Deutlichkeit will diese Aufführung mit expressiver Bilderfülle und Zitatwut mehr als nur genügen ln ihrer stukturierten Maßlosigkeit steigt sie einem manchmal aber auch wie ein Betäubungsmittel zu Kopf."


Darmstädter Echo, 16.04.1996

> Lohnende Entdeckung aus der Schatztruhe

Auch in der Personenführung geht Esterhazy durchdacht ans Werk. Bei den Darstellem wird nicht mit visuellen Reizen gegeizt, sei es mit Hilfe pıächtiger Kostüme - wie bei Phädra, der Königin - sei es mit nackter Haut - wie bei Aricie, der jungen Schönen. Ein origineller Einfall ist es, die drei Parzen in verstaubten Barockkostümen auftreten zu lassen: sie verkörpem die französischen Enzyklopädisten, wenn sie ihr abgrundtiefes Wissen in Form von riesigen Folianten auf dem Rücken mit sich herumschleppen.